meine bücherei

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Die Reise des kleinen Blattes

Es war einmal ein kleines Blatt. Das hing an einem großen Baum und jammerte: „Alle hat der Wind vom Baum geholt, nur mich hat er hängen lassen!“ Es hatte Sehnsucht nach seiner Familie. „Sei nicht traurig, kleines Blatt“, sagte der Baum. „Bestimmt wird der Wind auch dich holen. Dann fliegst du weit fort. Und wer weiß: Vielleicht siehst du deine Eltern und Geschwister ja wieder“, tröstete er das kleine Blatt.
Tatsächlich war bald das Heulen des Windes zu hören. Er rüttelte und schüttelte an den Zweigen des großen Baumes. „Ich falle!“, rief das kleine Blatt. „Ich falle! Danke, lieber Wind! Und danke, lieber Baum!“ Da flog es fort und landete auf einem großen Blätterhaufen. Nun war es wenigstens nicht mehr allein Doch es kannte die anderen Blätter nicht, und es fühlte sich sehr einsam.
Am nächsten Morgen hörte das kleine Blatt Kinderstimmen. „Schaut mal, da hinten ist ein großer Blätterhaufen!“, rief ein Mädchen. Die Kinder stürmten auf den Blätterhaufen zu, ließen sich hineinfallen und wühlten die Blätter auf, dass sie zu tanzen begannen. „Ich fliege! Ich fliege!“, rief das kleine Blatt. Plötzlich sah es ein großes Blatt vorbeischweben. „Mama!“, rief das kleine Blatt. „Da bist du ja, mein Kind!“, freute sich das große Blatt. „Endlich bist du wieder bei uns!“ Das große Blatt nahm das kleine Blatt an die Hand. Und nun flogen die Mama und ihr Kind gemeinsam zum Vater und zu den Geschwistern.
„Ein Glück, dass die Kinder gekommen sind und in den Blättern gewühlt haben. Sonst hätten wir uns am Ende nie mehr wieder gesehen“, meinte das kleine Blatt. Es war so froh, wieder bei seinen Eltern und Geschwistern zu sein.



Der Löwe und das Mäuschen

Ein Mäuschen lief über einen schlafenden Löwen. Da erwachte der Löwe und ergriff die Maus mit seinen gewaltigen Tatzen. „Verzeihe mir meine Unvorsichtigkeit und schenke mir mein Leben!”, flehte das Mäuschen. „Ich will dir ewig dafür dankbar sein. Ich habe dich bestimmt nicht stören wollen.” Großmütig schenkte der Löwe der kleine Maus die Freiheit und sagte lächelnd zu sich: „Wie will wohl ein Mäuschen einem Löwen dankbar sein?” Kurze Zeit später hörte die Maus in ihrem Loch das fürchterliche Gebrüll eines Löwen. Neugierig lief sie dorthin, von wo der Schall kam, und fand ihren Wohltäter in einem Netz gefangen. Schnell eilte die Maus herbei und zernagte einige Knoten des Netzes, so dass der Löwe mit einer Tatze das übrige Netz zerreißen konnte.





Der Müller und die Nixe

Es war einmal ein Müller, der war reich an Geld und Gut und führte mit seiner Frau ein vergnügtes Leben. Doch Unglück kommt manchmal über Nacht. Der Müller wurde arm und konnte zuletzt die Mühle, in der er saß, kaum noch sein eigen nennen. Voll Kummer ging er am Tag umher, und wenn er sich abends niederlegte, fand er weder Rast noch Ruh und.
Eines Morgens ging er ganz früh ins Freie und hoffte, es sollte ihm leichter ums Herz werden. Als er nun sorgenvoll auf dem Damme am Mühlteich auf und nieder ging, hörte er es auf einmal im Weiher rauschen. Und als er näher hinsah, stieg eine weiße Frau daraus empor. Da erkannte er, dass es die Nixe des Weihers sein musste. Der Müller fürchtete sich und wusste nicht, ob er davon gehen oder stehen bleiben sollte. Doch da er noch zauderte, erhob die Nixe ihre Stimme, nannte ihn bei Namen und fragte, warum er so traurig wäre? Als der Müller die freundlichen Worte hörte, fasste er sich ein Herz und erzählte ihr, dass er reich und glückselig gewesen wäre, jetzt aber arm, und dass er sich vor Not und Sorgen nicht zu raten wisse. Da redete ihm die Nixe mit tröstlichen Worten zu und versprach, sie wolle ihn noch viel reicher machen, als er’s je gewesen. Dafür solle er ihr aber geben, was eben in seinem Hause jung geboren sei.
Der Müller dachte, sie wolle ein Junges von seinem Hunde oder seiner Katze haben, und sagte also zu, was sie verlangte. Dann eilte er guten Mutes zu seiner Mühle. Aus der Haustür trat ihm seine Magd mit freudigem Winken entgegen und rief, seine Frau habe soeben einen Knaben geboren. Da stand nun der Müller und konnte sich über die Geburt seines Kindes nicht freuen. Denn die hatte er nicht so bald erwartet. Traurig ging er ins Haus und erzählte seiner Frau und seinen Verwandten, was er der Nixe gelobt hatte. “Mag doch alles Glück, das sie mir versprochen hat, verfliegen”, sprach er, “wenn ich nur mein Kind retten kann.” Aber niemand wusste einen besseren Rat, als das Kind sorgfältig in Acht zu nehmen, damit es dem Weiher nicht zu nahe kam.

Der Knabe wuchs fröhlich auf, und der Müller kam wieder zu Geld und Gut. Und es dauerte gar nicht lange, da war er reicher als er’s je gewesen. Doch er konnte sich seines Glückes nicht recht freuen, da er immer an sein Versprechen dachte und fürchtete, die Nixe werde über kurz oder lang auf Erfüllung dringen.
Über die Jahre wuchs der Knabe schnell heran und lernte die Jägerei. Und weil er ein schmucker Jäger war, nahm ihn der Herr des Dorfes zu Diensten. Da nahm sich der Jäger auch ein junges Weib zur Frau und lebte mit ihr in Frieden und Freuden.
Eines Tages verfolgte er auf der Jagd einen Hasen, der endlich auf das freie Feld lief. Der Jäger setzte eifrig nach und streckte ihn mit einem Schusse nieder. Sogleich machte er sich ans Ausweiden und übersah, dass er sich in der Nähe des Weihers befand, vor dem er sich von Kind auf hatte hüten müssen. Mit dem Ausweiden war er bald fertig und ging nun an das Wasser, um seine blutigen Hände zu waschen. Kaum hatte er sie in den Weiher getaucht, stieg die Nixe empor, umfing ihn mit nassen Armen und zog ihn hinab, dass die Wellen über ihm zusammenschlugen.
Als der Jäger nicht heimkehrte, geriet seine Frau in große Angst. Als man dann nach ihm suchte und am Mühlteiche seine Jagdtasche liegen fand, da zweifelte sie nicht mehr, was geschehen war. Ohne Rast und Ruh irrte die gute Jägersfrau an dem Weiher umher und rief wehklagend Tag und Nacht ihren Mann. Endlich fiel sie vor Müdigkeit in einen Schlaf, darinnen es ihr träumte, wie sie durch eine blühende Flur zu einer Hütte wanderte. Darin wohnte eine Zauberin, die versprach, ihr ihren Mann wieder zu verschaffen.
Als sie am Morgen erwachte, beschloss sie dieser Eingebung zu folgen und die Zauberin aufzusuchen. So wanderte sie aus und kam bald zur blühenden Flur, dann zu der Hütte, worin die Zauberin wohnte. Die Frau erzählte ihren Kummer, und dass ein Traum Rat und Hilfe von ihr versprochen habe. Die Zauberin gab ihr Bescheid, bei Vollmond an den Weiher zu gehen. Dort solle sie mit einem goldnen Kamme durch ihre schwarzen Haare streichen und dann den Kamm ans Ufer legen. Die junge Jägersfrau beschenkte die Zauberin gar reichlich und machte sich heimwärts auf den Weg.
Die Zeit bis zum Vollmonde schien ihr nicht zu vergehen. Doch dann war es endlich soweit. Sie ging zum Weiher und strich sich mit einem goldnen Kamme durch ihre schwarzen Haare. Als sie fertig war, legte sie den Kamm am Ufer nieder und sah dann ungeduldig in das Wasser. Da rauschte und brauste es aus der Tiefe, und eine Welle spülte den goldnen Kamm vom Ufer. Kaum was das geschehen, da erhob ihr Mann den Kopf aus dem Wasser und sah sie traurig an. Doch schon bald kam eine neue Welle gerauscht und der Kopf versank, ohne ein Wort gesprochen zu haben. Der Weiher lag wieder ruhig wie zuvor und glänzte im Mondscheine. Und die Jägersfrau war um nichts besser dran als zuvor.
Trostlos durchwachte sie Tage und Nächte, bis sie wieder ermüdet in Schlaf versank. Da kam ihr wieder derselbe Traum, der sie an die Zauberin verwiesen hatte. Abermals ging sie am Morgen über Feld und Flur, und klagte der Zauberin ihren Kummer. Die Alte gab ihr Bescheid, bei Vollmond an den Weiher zu gehen. Dort solle sie auf einer goldenen Flöte blasen und die Flöte ans Ufer legen.
Als es Vollmond geworden war, ging die Jägersfrau zum Weiher, blies auf einer goldnen Flöte und legte sie am Ufer ab. Da rauschte und brauste es aus der Tiefe und eine Welle spülte die Flöte vom Ufer. Bald darauf erhob der Jäger den Kopf über das Wasser und tauchte immer höher empor, und streckte die Arme nach seiner Frau aus. Da kam wieder eine rauschende Welle und zog ihn in die Tiefe zurück. Die Jägersfrau hatte voller Freude und Hoffnung am Ufer gestanden, versank nun aber in tiefen Gram, als sie ihren Mann in dem Wasser verschwinden sah.
Aber zum Troste erschien ihr noch einmal der Traum, der sie zu der blühenden Flur und zu der Hütte der Zauberin verwies. Die Alte gab ihr Bescheid, sie solle bei Vollmond an den Weiher gehen, dort auf einem goldnen Rädchen spinnen und dann das Rädchen ans Ufer stellen. Als der Vollmond kam, befolgte die Jägersfrau das Geheiß, ging an den Weiher, setzte sich nieder und spann auf einem goldnen Rädchen. Dann stellte sie das Rädchen ans Ufer. Da rauschte und brauste es aus der Tiefe und eine Welle spülte das goldne Rad vom Ufer. Und kurz darauf erhob der Jäger den Kopf über das Wasser, tauchte immer höher empor, bis er endlich an das Ufer stieg und seine Frau umarmte. Da fing das Wasser an zu rauschen und brausen und überschwemmte das Ufer weit und breit, und riss die beiden, wie sie sich umfassten, in die Tiefe.
In ihrer Herzensangst rief die Jägerin den Beistand der Alten an, und auf einmal war die Jägerin in eine Kröte und der Jäger in einen Frosch verwandelt. Aber sie konnten nicht beisammen bleiben, denn das Wasser riss sie auseinander.
Als die Überschwemmung vergangen war, da waren beide wieder zu Menschen geworden. Aber Jäger und Jägerin waren fortan getrennt und wussten auch nichts voneinander. Der Jäger entschloss sich, als Schäfer zu leben, und auch die Jägerin ward eine Schäferin. So hüteten sie lange Jahre ihre Herden.

Eines Tages trug es sich zu, dass der Schäfer in die Gegend kam, wo die Schäferin lebte. Die Gegend gefiel ihm und er sah, dass es recht fruchtbar und gut gelegen für seine Herde war. Er brachte also seine Schafe dorthin und hütete sie wie zuvor. So wurden der Schäfer und die Schäferin gute Freunde, nur sich erkennen, das taten sie nicht.
An einem Abend aber saßen sie bei Vollmond beieinander, ließen ihre Herden grasen und der Schäfer blies dazu auf seiner Flöte. Da dachte die Schäferin an jenen Abend, wo sie selber am Weiher auf der goldenen Flöte blies. Und sie konnte sich nicht länger halten und brach in lautes Weinen aus. Der Schäfer fragte, was sie so weine und klage? – Und sie erzählte, was ihr alles widerfahren war. Da fiel es dem Schäfer wie Schuppen von den Augen: Er erkannte seine Jägerin und gab sich ihr zu erkennen. Nun kehrten sie fröhlich in ihre Heimat zurück und lebten zusammen, ungestört und in Frieden.



Der schwarze Graf

Einst zog ein Ritter durch den Wald, gefolgt von seinem Knappen. Es wurde schon Abend und die Gegend war verrufen, doch der Ritter kannte keine Furcht. Der Weg führte die beiden am Schlosse eines befreundeten Ritters vorüber, dessen Tochter gerade Hochzeit hielt. Da entschlossen sie sich, als Gäste dort eine kurze Zeit zu verweilen. Der befreundete Ritter wollte sie länger bei sich halten, konnten sie doch im Hochzeitshause übernachten. Aber der Ritter trieb zur Eile und lehnte alle Einladungen zum Bleiben ab. Da warnte man ihn, im Walde hause der “schwarze Graf”, ein gespenstischer Ritter. Dieser bereite jedem, den er im Walde antreffe, gar fürchterlichen Schrecken. Es half aber nichts.

Der Weg durch den Wald war stockfinster, und der Ritter und der Knappe waren schon drei Stunden lang geritten. Noch war ihnen nichts begegnet, und der Ritter war guten Mutes, dass sein Schwert ihn gegen Angriffe von irdischen und unterirdischen Mächten schützen könnte.
Da drängte der Knappe plötzlich sein Ross neben das von seinem Herrn und flüsterte ängstlich: “Herr! Es reitet einer hinter uns. Der Hufschlag seines Rosses klingt hohl, und schaut Euch um, Herr: Seht nur, wie der Feuerschaum vom Gebisse des Rosses fällt, und seht, wie seine Nüstern Funken sprühen.”
Schnell hatte der schwarze Reiter, der ihnen folgte, aufgeholt. “Hollah! Gesellschaft! Wackere Kumpane!”, rief eine tiefe, hohle Stimme. “Gott zum Gruße!”, antwortete der Ritter. Der Rappe des Fremden stieg bäumend in die Höhe und schnaubte lange schmale Feuerströme aus den Nüstern, in deren Schein die Eisenrüstung des schwarzen Ritters erglühte. “Für solchen Gruß dankt euch der Teufel, nicht ich!”, grollte der riesige Nachtgesell und hieb wild auf den bäumenden Rappen ein. “Doch wisset, ihr habt euch verirrt! Kommt mit mir auf mein Schloss, es ist ganz nah. Dort drüben seht ihr schon die Fenster schimmern.” “Ich danke euch, aber ich habe nicht die Zeit zur Einkehr!”, antwortete der Ritter. Doch der schwarze Ritter rief gebietend: “Zeit wird sich finden!” Und er lachte so laut, dass es noch lange im Walde hallte.
Quer vor dem Weg lag eine lange schwarze Mauer mit einem halb verfallenen Tor. Der Weg führte geradewegs hindurch, und dann kamen sie zum Schloss des schwarzen Ritters, ein gar gewaltiger Bau. Droben im Gewirre der Türme und Türmchen kreischten Eulen. Und am Tor des Hauses ringelten sich steinerne dickleibige Drachen, die sich mit ihren Hälsen um die Säulen wanden. Schwarz ragte der ganze Bau zum dunklen Himmel empor, und nur wenige Fenster waren erhellt.
Der schwarze Graf schwang sich vom Ross, und das Ross versank hinter ihm in die Erde. “Folgt mir hinein!”, rief der schwarze Graf seinen gezwungenen Gästen zu. Doch der treue Knappe flüsterte seinem Herrn ins Ohr. “Nicht hinein! Um Himmels willen nicht hinein!” “Schweige Knecht!”, schrie der schwarze Graf gebieterisch. “Hier herrscht nicht der himmlische Wille, sondern einzig und alleine meiner! Hinfort mit dir!”
Da entschwand vor den Augen des Knappen das Schloss, und er stand jetzt auf öder einsamer Heide, nahe bei einem alten Gemäuer. Drei Türme ragten daraus empor. Das war aber nicht mehr das Schloss des schwarzen Grafen, es war ein anderes Haus.
Der Ritter folgte dagegen dem schwarzen Grafen mutig auf den Stufen einer Wendeltreppe. Von Zeit zu Zeit streckte sich eine Greifenklaue aus der Wand, die eine brennende Kerze hielt. Die Kerzen waren aber schwarz und weiß, und hässlicher Ruß bedeckte dunkel die Wände.
Die Rüstung des Grafen war nach uralter Art gemacht. Ein schwarzer Kettenpanzer umkleidete ihn völlig. Und auf dem Haupte trug er einen seltsam geformten Helm. Der Kamm dieses Helmes war nicht gegossen und nicht geschmiedet. Vielmehr war er lebendig, denn ein kleiner Drachen hing mit seinen Klauen daran. Manchmal drehte er den Kopf, sodass die schwarzen Funkelaugen wie Diamanten blitzten. Der Schwanz des Drachen hing lang vom Helme herab und schlenkerte bald nach links, bald nach rechts.
Als der schwarze Graf dann oben an der Treppe stand, wandte er sich wieder seinem Gaste zu. Bleich war sein Antlitz, bleich und abgezehrt. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen, als blickten sie dem Tod ins Auge. Der schwarze Graf keuchte nun schwer, und sein Atem glühte wie der Hauch der Wüste.
Da sprach der Graf: “Nun folge mir und schaue, was ich tat und wie ich leide!” “Einem jeden, der mir um Mitternacht begegnet, muss ich meine Missetat zeigen. Brauchst nicht für mich zu beten, Mann! Meine Tat wird nicht durch Reue gesühnt, nicht durch Fürbitte, und nicht durch Gebet.”
Jetzt sprang die Türe eines Saales auf, der mit phantastischen Bildwerken verziert war. Kalter Eishauch, wie von einem Gletscher, wehte ihnen aus dem Raum entgegen. Der Saal schien unfreundlich und leer, doch in der Mitte stand etwas, erhellt von einem Leuchter, der von der Decke hing. Und was dort stand, das war ein Sarg, in dem eine Leiche lag. Es war eine alte kleine Frau, ganz weiß gekleidet, die Hände wie zum Gebete aneinander gelegt. Über den Händen aber ragte der schwarze Griff eines Dolches aus der Brust.
“Hier meine Mutter!”, rief der schwarze Graf. “Hier der Mörder!”, rief er noch einmal, dass es schaurig im Saale hallte. Dann fiel der Graf am Sarge auf die Knie. Plötzlich hob sich die Leiche im Sarge empor, wurde groß und größer, ja riesengroß, bis sie den Saal mehr und mehr füllte. Dieser grausige Spuk deckte sich auch über den schwarzen Grafen, und der Ritter wich zurück, bis die Wand ihn hemmte. Immer grausiger wurde die entsetzliche Gestalt, und ihre Hände gruben in der Brust des schwarzen Grafen, gruben ihm das Herz aus der Brust.
Der Ritter war nun wie von den Sinnen! Er zog sein Schwert und schrie: “Unholde! Weichet im Namen des Gekreuzigten!” Da gellte ein entsetzlicher Schrei, da krachte das Gebälk, und da wankte das Haus. Der Sarg, die Wände, der Graf, die Schreckgespenst, alles sank hinab in die undurchdringliche Nacht.
Der Ritter erwachte aus seiner Betäubung. Sein treues Schwert hielt er noch in Händen. Schwarze Nacht war rings umher, und sein Fuß trat auf moorigem Grund. Seine Hand ertastete Mauerwerk und feuchtes Gras. Nachtluft umwehte ihn kühl und schaudernd.
“Was war das? Und wo bin ich?”, fragte sich der Ritter, und sein Herz klopfte rasend schnell. Er rief laut den Namen seines Knappen, worauf er leise Antwort hörte: “Herr, wo seid Ihr?”, rief der Knappe von weitem. Der Ritter antwortete: “Hier! Hier im Moor, unter Trümmern.” Da kam der Knappe näher und führte die beiden Rosse an den Zügeln heran.
Mit Mühe half der Knappe seinem Herrn aus dem Sumpf zu steigen. Darüber begann der Morgen zu dämmern, und nun sahen Herr und Diener allmählich, wo sie waren. – Auf sumpfiger Heide, neben einem ganz verfallenen Bau am Ende eines Waldes. Und eine Strecke weit entfernt sahen sie im Nebeldämmer jenes Gebäude, an dem der Knappe gerastet hatte. Es war ein Galgengerüst. Drei hohe Steinpfeiler erhoben sich wie weiße Türme, aber die verbindenden Balken waren längst verrottet und herabgefallen.
Kühl wehte es vom Osten her und feucht schlug sich der Nebel nieder. Der Ritter und sein Knappe machten sich wieder auf den Weg. Und nie mehr vergaß der Ritter sein gespenstisches Abenteuer im Schloss des schwarzen Grafen.



Siebenschön

Es waren einmal ein paar arme Leute in einem Dorfe. Die hatten ein kleines Häuschen und nur eine einzige Tochter. Diese war wunderschön und gut über alle Maßen. Sie arbeitete, fegte, wusch und nähte für sieben und war so schön wie sieben zusammen. Darum ward sie Siebenschön genannt. Aber sie schämte sich gar sehr, weil die Leute sie immerzu wegen ihrer Schönheit anstaunten. Und sonntags tat sie einen Schleier vor ihr Gesicht, wenn sie in die Kirche ging. Denn Siebenschön war auch fromm wie sieben andre.
So sah sie einst der Königssohn und hatte seine Freude an der edlen Gestalt. Aber es tat ihm Leid, dass sie ihr Gesicht hinter dem Schleier verbarg. Da fragte der Prinz einen seiner Diener: “Wie kommt es, dass wir ihr Gesicht nicht sehen dürfen?” “Das kommt daher”, antwortete der Diener, “weil Siebenschön so bescheiden ist.” Darauf sagte der Königssohn: “Ist Siebenschön so bescheiden mit ihrer Schönheit, so will ich sie lieben mein Leben lang und sie heiraten. Gehe hin und bringe ihr diesen goldnen Ring von mir. Sage ihr, ich muss mit ihr reden. Sie möge am Abend zur großen Eiche kommen.”

Der Diener tat, wie ihm befohlen war. Siebenschön aber glaubte, der Königssohn wolle ein Stück Arbeit bei ihr bestellen. Also ging sie des Abends zur großen Eiche. Da sagte ihr der Prinz, dass er sie liebe wegen ihrer großen Bescheidenheit und Tugend. Und darum wolle er sie zur Frau nehmen. Siebenschön aber sagte: “Ich bin ein armes Mädchen, und du bist ein reicher Prinz. Dein Vater würde sehr böse werden, wenn du mich zur Frau nehmen wolltest.” Der Prinz ließ aber nicht ab in seinem Begehren. Da sagte Siebenschön endlich, sie wolle es sich ein paar Tage bedenken.
Der Königssohn konnte aber unmöglich solange warten. Schon am folgenden Tage schickte er Siebenschön silberne Schuhe und ließ sie bitten, noch einmal unter die große Eiche zu kommen. Da sie nun kam, fragte er, ob sie sich besonnen habe. Sie aber sagte, sie habe noch keine Zeit gefunden, es gut zu bedenken. Sie hätte im Haushalt gar viel zu tun, und sie sei ja doch nur ein armes Mädchen. Aber der Prinz bat erneut und immer mehr, bis Siebenschön versprach, es den Eltern zu sagen, was der Prinz ihr angetragen habe.
Kaum war der nächste Tag angebrochen, da schickte der Königssohn Siebenschön ein prächtiges Kleid. Es war ganz aus Goldstoff gemacht, und der Prinz ließ sie zur Eiche bitten. Als Siebenschön nun zu der Eiche kam und der Prinz sie hoffnungsvoll fragte, da sagte sie wieder nur, sie müsse es noch gut bedenken. Auch habe sie mit ihren Eltern nicht reden können. Und sie sprach noch einmal davon, dass sie arm sei, er aber reich, und dass er seinen Vater nur erzürnen werde. Der Prinz aber entgegnete voll Zuversicht, sie solle nur seine Frau werden, so werde sie später auch Königin. Da erkannte Siebenschön, wie aufrichtig es der Prinz mit ihr meinte. Endlich sagte sie ja und kam nun jeden Abend zu der Eiche, den Königssohn zu treffen. Auch sollte der König noch nichts davon erfahren.
Am Hofe gab es aber eine alte hässliche Hofmeisterin. Die lauerte dem Königssohn auf, kam hinter sein Geheimnis und verriet es heimlich an den König. Der König ergrimmte, sandte Diener aus und ließ das Elternhaus von Siebenschön in Flammen legen, auf dass sie mit verbrenne. Als Siebenschön das Feuer bemerkte, sprang sie aus dem Fenster heraus und alsbald in einen leeren Brunnen. Ihre Eltern aber, die armen Leute, verbrannten im Häuschen gar jämmerlich.
Da saß nun Siebenschön drunten im Brunnen und weinte sehr, konnte sie es doch nicht ewig hier aushalten. Als sich der Tag dann zum Abend neigte, kletterte sie hinauf und fand im Schutt des Häuschens noch etwas Brauchbares. Das machte sie zu Geld und kaufte sich Burschenkleider. So ging sie als frischer Bub an des Königs Hof und bot sich zu Diensten an. Der König fragte am nächsten Tag den jungen Diener nach seinem Namen. Da erhielt er die Antwort: “Unglück!” Doch der junge Diener stand in der Gunst des Königs, sodass er ihm bald der Liebste unter allen Dienern war.
Als der Königssohn erfuhr, dass das Elternhaus von Siebenschön verbrannt war, wurde er sehr traurig. Er glaubte, Siebenschön sei mit verbrannt. Das glaubte auch der König und verlangte nun von seinem Sohn, dass er endlich eine Prinzessin heirate. Der Prinz musste alsbald um die Hand einer benachbarten Königstochter anhalten. Da zog der ganze Hof und die ganze Dienerschaft mit zur Hochzeit aus. Das war für Unglück eine schwerer Tag, der wie ein Stein auf ihrem Herzen lag. Als Letzte ritt sie dem Zuge nach und sang traurig mit heller Stimme:
“Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt.”
Das hörte der Prinz von weitem. Schnell hielt er an und fragte: “Ei, wer singt denn da so fein?” “Es wird wohl mein Bedienter, der Unglück, sein”, antwortete der König. Da hörten sie noch einmal den Gesang:
“Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt.”
Und wieder fragte der Prinz, ob es denn wirklich niemand anderes sei als des Königs Diener. Der König aber sagte, er wisse es nicht anders. Als nun der Zug ganz nahe an das Schloss der neuen Braut kam, erklang noch einmal die schöne klare Stimme:
“Siebenschön war ich genannt,
Unglück ist mir jetzt bekannt.”
Jetzt wartete der Prinz keinen Augenblick länger. Er spornte sein Pferd an und ritt im gestreckten Galopp am Zuge entlang. Hinten am Ende sah er dann den traurigen Diener Unglück und erkannte sogleich, dass es Siebenschön war. Der Prinz nickte ihr freundlich zu und jagte wieder an die Spitze des Zuges zurück. So zogen sie auch zum Schloss hinein.

Da nun alle Gäste und alles Gefolge im großen Saal versammelt waren, sagte der Prinz zu seinem künftigen Schwiegervater: “Herr König, ehe ich mich mit eurer Prinzessin Tochter feierlich verlobe, müsst ihr mir erst noch eine Frage beantworten. Ich besitze einen schönen Schrank. Vor einiger Zeit verlor ich aber den Schlüssel und kaufte mir einen neuen Schrank. Bald darauf fand ich den alten Schlüssel wieder. Jetzt sagt mir Herr König, welchen Schlüssel soll ich bedienen?” “Ei, natürlich den alten wieder!”, antwortete der König. “Das Alte soll man in Ehren halten und es über Neuem nicht vergessen.”
“Ganz wohl, Herr König”, antwortete der Prinz, “so zürnt mir nicht, wenn ich eure Tochter nicht zur Gemahlin nehmen kann. Sie ist der neue Schlüssel und dort steht der alte.” Der Prinz nahm Siebenschön an die Hand, führte sie zu seinem Vater und sagte: “Siehe Vater, das ist meine Braut.”
Da schnaubte der alte König ganz entsetzt: “Ach lieber Sohn, das ist doch Unglück, und mein Diener!” Und viele Hofleute riefen: “Herr Gott, was für ein Unglück!” “Nein”, sagte der Königssohn, “hier ist gar kein Unglück, hier ist Siebenschön, meine liebe Braut.” So verließ der Prinz die Versammlung und führte Siebenschön als Herrin und Frau auf sein schönstes Schloss.





König Drosselbart


[von den Brüdern Grimm]
Ein König hatte eine Tochter, die war über alle Maßen schön, aber dabei so stolz und übermütig, dass ihr kein Freier gut genug war. Sie wies einen nach dem andern ab und trieb noch dazu Spott mit ihnen.
Einmal ließ der König ein großes Fest anstellen und lud dazu aus der Nähe und Ferne die heiratslustigen Männer ein. Sie wurden alle in eine Reihe nach Rang und Stand geordnet. Erst kamen die Könige, dann die Herzöge, die Fürsten, Grafen und Freiherrn, zuletzt die Edelleute.
Nun ward die Königstochter durch die Reihen geführt, aber an jedem hatte sie etwas auszusetzen. Der eine war ihr zu dick: “Das Weinfass!”, sprach sie. Der andere zu lang: “Lang und schlank hat keinen Gang.” Der dritte zu kurz: “Kurz und dick hat kein Geschick.” Der vierte zu blass: “Der bleiche Tod!” Der fünfte zu rot: “Der Zinshahn!” Der sechste war nicht gerade genug: “Grünes Holz, hinterm Ofen getrocknet.”
Und so hatte sie an einem jeden etwas auszusetzen, besonders aber machte sie sich über einen guten König lustig, der ganz oben stand, und dem das Kinn ein wenig krumm gewachsen war. “Ei”, rief sie und lachte, “der hat ein Kinn, wie die Drossel einen Schnabel.” Und seit der Zeit bekam er den Namen Drosselbart.
Der alte König aber, als er sah, dass seine Tochter alle Freier verschmähte, die da versammelt waren, ward zornig und schwur, sie sollte den ersten besten Bettler zum Manne nehmen, der vor seine Türe käme.
Ein paar Tage darauf hub ein Spielmann an, unter dem Fenster zu singen, um damit ein geringes Almosen zu verdienen. Als es der König hörte, sprach er: “Lasst ihn herauf kommen.” Da trat der Spielmann in seinen schmutzigen Kleidern herein, sang vor dem König und seiner Tochter, und bat, als er fertig war, um eine milde Gabe. Der König sprach: “Dein Gesang hat mir so wohl gefallen, dass ich dir meine Tochter da zur Frau geben will.” Die Königstochter erschrak, aber der König sagte: “Ich habe den Eid getan, dich dem ersten besten Bettelmann zu geben, den will ich auch halten.”
Es half keine Einrede, der Pfarrer ward geholt, und sie musste sich gleich mit dem Spielmann trauen lassen. Als das geschehen war, sprach der König: “Nun schickt sich nicht, dass du als ein Bettelweib noch länger in meinem Schloss bleibst, du kannst nun mit deinem Manne weiter ziehen.” Der Bettelmann führte sie an der Hand hinaus, und sie musste mit ihm zu Fuß fortgehen.
Als sie da in einen großen Wald kamen, fragte sie: “Ach, wem gehört der schöne Wald?” “Der gehört dem König Drosselbart; hättest du ihn genommen, so wäre er dein.” “Ich arme Jungfer zart, ach, hätte ich genommen den König Drosselbart!”
Darauf kamen sie über eine Wiese, da fragte sie wieder: “Wem gehört die schöne grüne Wiese?” “Sie gehört dem König Drosselbart; hättest du ihn genommen, so wäre sie dein.” “Ich arme Jungfer zart, ach, hätte ich genommen den König Drosselbart!”
Dann kamen sie durch eine große Stadt, da fragte sie wieder: “Wem gehört diese schöne große Stadt?” “Sie gehört dem König Drosselbart, hättest du ihn genommen, so wäre sie dein.” “Ich arme Jungfer zart, ach, hätte ich genommen den König Drosselbart!”
“Es gefällt mir gar nicht”, sprach der Spielmann, “dass du dir immer einen andern zum Mann wünschest, bin ich dir nicht gut genug?”
Endlich kamen sie an ein ganz kleines Häuschen, da sprach sie: “Ach, Gott, was ist das Haus so klein! Wem mag das elende winzige Häuschen sein?” Der Spielmann antwortete: “Das ist mein und dein Haus, wo wir zusammen wohnen.” Sie musste sich bücken, damit sie zu der niedrigen Tür hineinkam.
“Wo sind die Diener?”, sprach die Königstochter. “Was Diener”, antwortete der Bettelmann, “du musst selber tun, was du willst getan haben. Mach nur gleich Feuer an und stell Wasser auf, dass du mir mein Essen kochst; ich bin ganz müde.” Die Königstochter verstand aber nichts vom Feueranmachen und Kochen, und der Bettelmann musste selber mit Hand anlegen, dass es noch so leidlich ging.
Als sie die schmale Kost verzehrt hatten, legten sie sich zu Bett, aber am Morgen trieb er sie schon ganz früh heraus, weil sie das Haus besorgen sollte. Ein paar Tage lebten sie auf diese Art schlecht und recht, und zehrten ihren Vorrat auf. Da sprach der Mann: “Frau, so geht es nicht länger, dass wir hier zehren und nichts verdienen. Du sollst Körbe flechten.”
Er ging aus, schnitt Weiden und brachte sie heim. Da fing sie an zu flechten, aber die harten Weiden stachen ihr die zarten Hände wund. “Ich sehe, das geht nicht”, sprach der Mann, “spinn lieber, vielleicht kannst du das besser.” Sie setzte sich hin und versuchte zu spinnen, aber der harte Faden schnitt ihr bald in die weichen Finger, dass das Blut daran herunter lief.
“Siehst du”, sprach der Mann, “du taugst zu keiner Arbeit, mit dir bin ich schlimm angekommen. Nun will ich es versuchen und einen Handel mit Töpfen und irdenem Geschirr anfangen. Du sollst dich auf den Markt setzen und die Ware feil halten.” “Ach”, dachte sie, “wenn auf dem Markt Leute aus meines Vaters Reich kommen und sehen mich da sitzen und feil halten, wie werden sie mich verspotten!” Aber es half nichts, sie musste sich fügen, wenn sie nicht hungers sterben wollten.
Das erste Mal ging es gut, denn die Leute kauften der Frau, weil sie schön war, gern ihre Ware ab und bezahlten, was sie forderte. Ja, viele gaben ihr sogar das Geld und ließen ihr die Töpfe noch dazu. Nun lebten sie von dem Erworbenen, so lang es dauerte, da handelte der Mann wieder eine Menge neues Geschirr ein.
Sie setzte sich an eine Ecke des Marktes und stellte es um sich her und hielt feil. Da kam plötzlich ein trunkener Husar daher gejagt und ritt gerade zu in die Töpfe hinein, dass alles in tausend Scherben zersprang. Sie fing an zu weinen und wusste vor Angst nicht, was sie anfangen sollte. “Ach, wie wird mir es ergehen!”, rief sie. “Was wird mein Mann dazu sagen!”
Sie lief heim und erzählte ihm das Unglück. “Wer setzt sich auch an die Ecke des Marktes mit irdenem Geschirr”, sprach der Mann, “lass nur das Weinen, ich sehe wohl, du bist zu keiner ordentlichen Arbeit zu gebrauchen. Darum bin ich in unseres Königs Schloss gewesen und habe gefragt, ob sie nicht eine Küchenmagd brauchen könnten, und sie haben mir versprochen, sie wollten dich dazu nehmen. Dafür bekommst du freies Essen.”
Nun ward die Königstochter eine Küchenmagd, musste dem Koch zur Hand gehen und die sauerste Arbeit tun. Sie machte sich in beiden Seitentaschen ein Töpfchen fest, darin trug sie nach Haus, was ihr zuteil ward, und davon nährten sie sich.
Einstmals sollte die Hochzeit des ältesten Königssohnes gefeiert werden, da ging die arme Frau hinauf, stellte sich vor die Saaltüre und wollte zusehen. Als nun die Lichter angezündet waren, und immer einer schöner als der andere hereintrat, und alles voll Pracht und Herrlichkeit war, da dachte sie mit betrübtem Herzen an ihr Schicksal und verwünschte ihren Stolz und Übermut, der sie erniedrigt und in so große Armut gestürzt hatte.
Von den köstlichen Speisen, die da ein- und ausgetragen wurden, warfen ihr die Diener manchmal ein paar Brocken zu, die tat sie in ihr Töpfchen und wollte sie heim tragen. Auf einmal trat der Königssohn heran, war in Samt und Seide gekleidet und hatte goldene Ketten um den Hals, und als er die schöne Frau in der Türe stehen sah, ergriff er sie schnell bei der Hand und wollte mit ihr tanzen. Aber sie weigerte sich und erschrak, denn sie sah, dass es der König Drosselbart war, der um sie gefreit und den sie mit Spott abgewiesen hatte.
Ihr Sträuben half nichts, er zog sie in den Saal, da zerriss das Band, an welchem die Taschen hingen, und die Töpfe fielen heraus, dass die Suppe floss und die Brocken umhersprangen. Und wie das die Leute sahen, entstand ein allgemeines Gelächter und Spotten, und sie war so beschämt, dass sie sich lieber tausend Klafter unter die Erde gewünscht hätte.
Sie sprang zur Türe hinaus und wollte entfliehen, aber auf der Treppe holte sie ein Mann ein und brachte sie zurück. Und wie sie ihn ansah, war es wieder der König Drosselbart. Er sprach ihr freundlich zu: “Fürchte dich nicht, ich und der Spielmann, der mit dir in dem elenden Häuschen gewohnt hat, sind eins. Dir zu Liebe habe ich mich so verstellt, und der Husar, der dir die Töpfe entzwei geritten hat, bin ich auch gewesen. Das alles ist geschehen, um deinen stolzen Sinn zu beugen und dich für den Hochmut zu strafen, womit du mich verspottet hast.”
Da weinte sie bitterlich und sagte: “Ich habe großes Unrecht getan und bin nicht wert deine Frau zu sein.” Er aber sprach: “Tröste dich, die bösen Tage sind vorüber. Jetzt wollen wir unsere Hochzeit feiern.” Da kamen die Kammerfrauen und taten ihr die prächtigsten Kleider an, und ihr Vater kam und der ganze Hof, und wünschten ihr Glück zu ihrer Vermählung mit dem König Drosselbart, und die rechte Freude fing jetzt erst an. Ich wollte, du und ich, wir wären auch dabei gewesen.



Der Federkönig


[von Josef Haltrich]
Es war einmal ein armes Bauernpaar, das jeden Tag auf dem Feld hart arbeiten musste. Sie hatten auch ein kleines Kind, das in einem Körbchen am Feldrand lag, wenn gearbeitet wurde. Eines Tages kam eine wilde Katze aus dem nahen Wald geschlichen, nahm das Kind und trug es fort in ihre Höhle. Sie tat ihm aber nichts und brachte ihm Kräuter, Wurzeln und Erdbeeren, sodass es keine Not litt. So wuchs das Kind in der Höhle auf.
Als der Junge dann herangewachsen war, sprach die Katze: “Nun sollst du die Königstochter heiraten!” “Aber ich bin doch nackt”, sprach der Junge, “soll ich so vor den König treten?” “Mache dir keine Sorgen”, erwiderte die Katze, “ich werde dir gleich ein Kleid verschaffen.” Da lief die Katze mit einem silbernen Pfeifchen in den Wald. Sie blies einmal darauf, und zischte und raschelte, schon kamen viele Vögel und wilde Tiere zusammen. Von jedem Vogel nahm die Katze eine Feder, machte daraus ein Kleid und brachte es dem Jungen. Dann führte sie ihn zu den Tieren und sprach: “Gehe jetzt mit diesen Tieren zum König und sage ihm: ‚Herr König, der Federkönig schickt euch diese Tiere als Geschenk!’” Da ging der Junge in die Burg und sagte es so, wie die Katze es ihm gelehrt hatte.
Als der König die vielen Tiere sah, freute er sich und sprach: “Das muss ein reicher König sein!” Am folgenden Tag schickte die Katze den Jungen wieder mit vielen Tieren hin, und er sollte sagen: “Das ist wieder ein Geschenk vom Federkönig”. Und wenn der König seine Tochter gerne als Gemahlin an der Seite des Federkönigs sehen wollte, sollte der Junge sagen, dass der Federkönig in drei Tagen selber kommen werde, um die Hochzeit halten. Und so geschah es.
Als die drei Tage vergangen waren, lief die Katze in den Wald, blies dreimal auf dem silbernen Pfeifchen und zischelte und raschelte nach Katzenart. Da kamen viele Vögel und wilde Tiere zusammen, und die Katze wählte jetzt die schönsten und farbigsten Federn aus. Daraus machte sie einen Mantel, der so schön wie der Sternenhimmel glitzerte, und gab ihn dem Jungen. Und dieses Mal ging auch die Katze mit zur Burg.
Als sie nicht weit vom Schlosse waren, sprach sie zum Jungen: “Jetzt wirf dein altes Federkleid fort, denn ich bringe dir gleich schöne Kleider aus dem Schlosse. Den Federmantel sollst du aber als Schmuck gebrauchen.” Die Katze lief schnell ins Schloss und rief: “Gebt mir königliche Kleider. Der Federkönig ist bei seiner Anreise in den Sumpf gefallen. Er braucht frische Kleider!” Da gab der König seine besten Kleider her, und die Katze brachte sie dem Jungen und kleidete ihn ein.
So kam der Junge jetzt zur Burg, und viele Tiere folgten ihm. Nun legte er auch noch den Federmantel um. Der glitzerte und glänzte, dass man es kaum ertragen konnte. Da freute sich der König zusammen mit seiner Tochter über den reichen Bräutigam. Als aber die Hochzeit vorüber war, sprach der König: “Ich möchte doch gerne dein Land und deinen Palast sehen. Fahren wir doch einfach hin!”
Wie nun der Federkönig mit seiner jungen Frau im Wagen saß, sah er immerzu auf seine schönen Kleider und nicht auf seine Frau. Das merkte die Katze, sprang ihm in den Nacken, und tschak, kratzte sie ihn. “Sieh doch deine Frau an”, flüsterte die Katze. “Wenn man dich aber fragt, warum du immer auf deine Kleider schaust, dann sage, du hättest daheim noch viel schönere.” Damit lief die Katze fort und war dem Wagen immer ein Stück weit voraus. Der Federkönig sah bald wieder auf seine Kleider. Da fragte ihn die junge Frau: “Warum tust du das?” Er antwortete: “Ich habe daheim doch viel schönere.”
Nun kam die Katze zu einer großen Schafherde. Die Katze lief zum Hirten, sprang ihm in den Nacken, und tschack, kratzte sie ihn, dass ihm das Blut floss. Sie sagte: “Wenn man dich fragt, wem diese Herde gehört, so sprich: ,Dem Federkönig!’ Tust du es nicht, komme ich wieder und zerkratze dich in tausend Stücke!” Als nun der König und das junge Paar zur Schafweide kamen, fragte der König den Hirten: “Wem gehört denn diese schöne Herde?” Der Hirt sprach: “Die gehört dem Federkönig”, denn er wollte nicht mehr gekratzt werden. “Ja, die gehört mir”, sagte gleich der Junge, denn er merkte, das die Katze es angezettelt hatte.
Bald darauf kamen sie zu einer großen Büffelherde. Die Katze war aber schon da gewesen und hatte den Hirten gekratzt. Als nun der König fragte: “Wem gehört denn die schöne Herde?”, sprach der Hirte: “Na, die gehört dem Federkönig”, denn er wollte die Katze nicht wiedersehen. “Ja, die ist mein”, sagte der Federkönig, und der König wunderte sich sehr und sprach: “Ich hätte nie geglaubt, dass du so reich bist!”
Kurz darauf kamen sie auch zu einer Rossherde. Die Katze war schon da gewesen und hatte den Hirten gekratzt. Und als der König fragte: “Wem gehört denn die große Rossherde?”, antwortete er: “Na, dem Federkönig! “Ja, die ist auch mein!”, sagte der Junge im Wagen. “Jetzt glaube ich, dass du viel reicher bist als ich”, sprach der König, “und was wirst du uns erst daheim alles zeigen!”
Endlich gelangten sie zum Schloss eines Zauberers. Da war alles aus Gold und Silber, Kristall und Edelsteinen, und der Tisch war reichlich gedeckt. Sie setzten sich gleich und aßen. Die Katze aber blieb vor der Türe und hielt Wache. Auf einmal kam der Zauberer und polterte zornig: “Räuber in meinem Schloss, an meinem Tisch! Wehe euch!” Die Katze aber stand in der Türe und ließ ihn nicht durch. Sie sprach: “Sage mir, bist du wirklich der große Zauberer, für den man dich hält? Man erzählt, du könntest dich in große und kleine Tiere verwandeln!” “Ha, das ist für mich eine Kleinigkeit!”, rief der Zauberer und verwandelte sich gleich in einen mächtigen Löwen. Da fürchtete sich die Katze und sprang auf einen hohen Schrank. “Das ist dir wohl gelungen”, sagte die Katze, “nun aber möchte ich sehen, ob du dich auch in eine Maus verwandeln kannst. Das ist gewiss viel schwerer!” Sogleich verwandelte sich der Zauberer in eine Maus. Im Nu sprang die Katze herunter, packte die Maus mit ihren Krallen und zerriss sie.

Nun rief sie den Jungen aus dem Saal heraus und sprach: “Das Schloss und alles, was dazu gehört, sind nun wirklich dein. Ich habe den Zauberer, dem alles gehörte, vernichtet! Jetzt aber verlange ich von dir einen Dienst. Nimm ein Schwert und schlage mir das Haupt ab.” Der Junge wollte nicht und sprach: “Wie könnte ich so undankbar sein!” “Wenn du es nicht tust, kratze ich dir die Augen aus!”, drohte die Katze. Da nahm der Junge ein Schwert von der Wand, und tschak, mit einem Hieb fiel das Haupt der Katze zu Boden.
Aber siehe, plötzlich war da eine wunderschöne Frau. Der Junge führte sie zum König und sprach: “Das ist meine Mutter!” Die Frau aber gefiel dem alten König sehr, und weil seine erste Gemahlin gestorben war, bat er um ihre Hand und sprach: “Sollen wir nicht auch die Hochzeit feiern?” Sie war nicht abgeneigt, und so dauerte das Fest noch ganze acht Tage. Darauf zog der alte König mit seiner neuen Frau heim. Der Junge aber blieb mit der Königstochter im Zauberschloss und war reicher als sieben Könige.


Der Fuchs und der Storch

Ein Fuchs hatte einen Storch zu Gast, und setzte ihm die köstlichsten Dinge vor. Die Speisen lagen aber nur auf ganz flachen Schüsseln, aus denen der Storch mit seinem langen Schnabel nichts fressen konnte. Gierig fraß der Fuchs alles alleine, obgleich er den Storch unaufhörlich bat, er solle es sich schmecken lassen.

Der Storch fand sich betrogen, blieb aber heiter. Er lobte die Bewirtung über alle Maßen und bat seinen Freund, am anderen Tag mit ihm zu essen. Der Fuchs mochte wohl ahnen, dass der Storch sich rächen wollte, und wies die Einladung ab. Der Storch aber ließ nicht nach, bis der Fuchs dann endlich einwilligte.
Als er nun am anderen Tag zum Storch kam, fand er alle möglichen Leckerbissen aufgetischt. Sie waren aber in langhalsigen Geschirren abgefüllt. “Folge meinem Beispiel”, rief ihm der Storch zu, “und fühle dich so, als wenn du zu Hause wärest.” Der Storch schlürfte nun mit seinem Schnabel alles alleine auf, während der Fuchs zu seinem größten Ärger nur etwas riechen und vom äußeren Geschirr ablecken konnte.
Hungrig stand er vom Tisch auf und gestand, dass der Storch ihm eine ordentliche Lektion für seinen Hochmut beigebracht habe.


Der Hund und das Stück Fleisch

Ein großer Hund hatte einem kleinen Hündchen ein dickes Stück Fleisch abgejagt. Mit seiner fetten Beute brauste der große Hund davon.

Als er aber über eine schmale Brücke lief, fiel sein Blick zufällig ins Wasser. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen und sah unter sich einen Hund, der gierig seine Beute festhielt.
“Der kommt mir zur rechten Zeit”, knurrte der Hund auf der Brücke. “Mir scheint, der Andere hat ein Stück Fleisch, das noch größer ist als das Meinige.”
Wild entschlossen stürzte sich der Hund kopfüber in den Bach und biss nach dem Hund, den er von der Brücke aus gesehen hatte. Das Wasser spritzte auf und der Hund spähte hitzig nach allen Seiten. Aber er konnte beim besten Willen den anderen Hund nicht mehr entdecken.
Da fiel dem Hund sein eigenes Stück Fleisch ein. Wo war es geblieben? Verwirrt tauchte er unter und suchte danach. Vergeblich! In seiner dummen Gier war ihm jetzt auch noch das Stück Fleisch verloren gegangen, das er schon sicher zwischen den Zähnen hatte.